Vom Reaktions- in den Aktions-Modus: Mit Blick auf den Kostendruck und die in Schieflage geratenen Lieferketten stehen Krankenhäuser mehr denn je vor der Herausforderung, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Die Grundlage dafür sind Daten, die nicht nur gesammelt, zusammengeführt und visualisiert, sondern vor allem richtig interpretiert werden müssen. Was aufwendig klingt, machen Business Intelligence (BI) Technologien möglich. Welche Vorteile sind damit verbunden? Was sind die Herausforderungen? Und wie lässt sich eine BI-Strategie im Krankenhaus umsetzen?
Als mich ein Freund zuletzt gefragt hat, was die Akteure im Gesundheitswesen mitbringen müssen, um die heutigen Herausforderungen zu meistern, kam mir direkt ein Wort in den Sinn: Antizipation. Genau wie ein Schachspieler immer mehrere Schritte vorausdenken muss, um von seinem nächsten Zug den größtmöglichen Nutzen zu haben, gilt das auch für Lieferanten von medizinischen Produkten und – erst recht – für Krankenhäuser, die im Zuge von anhaltenden Krisen mehr denn je vor der Herausforderung stehen, schnell und richtig auf unvorhergesehene Ereignisse zu reagieren.
Während Gesundheitsorganisationen lange Zeit nur auf Probleme reagiert und Fehler korrigiert haben, sind sie im Zuge der immer komplexer werdenden Rahmenbedingungen mittlerweile dazu gezwungen, schon im Vorfeld die richtigen Entscheidungen zu treffen. Ob bei der Bestandsverwaltung inklusive Bedarfsprognosen, der Optimierung von Lagerkapazitäten, beim Lieferanten-Management oder der Wahl von medizinischen Produkten und Verbrauchsgütern – Krankenhäuser müssen die Folgen ihres Handelns antizipieren und die richtigen Entscheidungen treffen, um das Risiko von Lieferausfällen abzufedern und die Sicherheit ihrer Patienten jederzeit zu gewährleisten.
Die gute Nachricht ist, dass diese Antizipation schon lange nicht mehr nur das Ergebnis eines Bauchgefühls sein muss, sondern Verantwortliche auf Technologien zugreifen können, die sie bei ihrer Entscheidungsfindung unterstützen. Der Schlüssel zum Erfolg: Business Intelligence (BI), also der Einsatz von Prozessen und Tools, die Krankenhäusern dabei helfen, eine mitunter große Anzahl an komplexen Daten zu analysieren und in verwertbare Ergebnisse umzuwandeln.
Wenn Sie so wollen, versetzen BI-Lösungen Krankenhäuser in die Lage, vom Reaktions- in den Aktions-Modus zu schalten. Anstatt auf Fehlbestände zu reagieren oder die Ursache für fehlerhafte Bestellungen zu suchen, können sie mittlerweile proaktiv daran arbeiten, dass Probleme gar nicht erst auftreten. Durch eine Automation der Prozesse und Vernetzung der Systeme lassen sich Daten gewinnen, die – richtig analysiert und visualisiert – nicht nur die Grundlage für eine Management-Entscheidung bilden, sondern je nach Ausprägung der Business Intelligence sogar schon Vorhersage-Modelle ableiten oder Handlungsempfehlungen geben.
Der vorangegangene Gedanke zeigt, dass es verschiedene Ausprägungen von Business Intelligence gibt, die Gesundheitsorganisationen bei der Entscheidungsfindung unterstützen und ihnen dabei helfen, schnell und zielgerichtet auf Marktveränderungen reagieren zu können.
Ausprägungen von Business Intelligence |
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1. Deskriptive Analytik
Die simpelste Form von Business Intelligence sind deskriptive Analysen. Dabei werden vergangene Ereignisse untersucht, um Anomalien, Muster und Trends abzuleiten. Bestes Beispiel sind Verbrauchsanalysen. Wenn Krankenhäuser festhalten, welche Materialien in der klinischen Versorgung in welchen Mengen, mit welcher Häufigkeit und von welchen Abteilungen verbraucht werden, können sie aus der statistischen Analyse saisonale Schwankungen ermitteln und daraus Strategien für die Beschaffung und Bevorratung ableiten.
2. Diagnostische Analytik
Sobald ein Problem oder ein Trend mit Hilfe der deskriptiven Analytik identifiziert wurde, kann die diagnostische Analytik dabei helfen, die Ursachen zu finden. Während die deskriptive Analytik also lediglich untersucht, was passiert ist, untersucht die Diagnostik, warum etwas passiert ist. Mittels sogenannter Data-Mining-Verfahren können große Datensätze mit dem Ziel untersucht werden, neue Querverbindungen und Trends zu erkennen. Dass ein Engpass bei einem medizinischen Produkt vorlag, kann zum Beispiel nicht nur daran liegen, dass die Nachfrage in einem bestimmten Zeitraum größer war, sondern auch der Tatsache geschuldet sein, dass der festgelegte Mindestwert für das medizinische Produkt schlichtweg zu niedrig angesetzt ist.
3. Prädiktive Analytik
Die prädiktive Analytik dient dazu, zukünftige Ergebnisse basierend auf historischen Daten zu prognostizieren. Es handelt sich hierbei um eine komplexere Form der Datenanalyse, da Wahrscheinlichkeiten für Vorhersagen genutzt werden, anstatt lediglich bestehende Fakten zu interpretieren. Der Einsatz von statistischen Modellierungen oder maschinellem Lernen kann Krankenhäuser dabei helfen, Probleme zu antizipieren, um Lagerbestände zu optimieren oder die Bedarfsplanung zu verbessern.
4. Präskriptive Analytik
Die Königsdisziplin der Business Intelligence ist die präskriptive Analyse. Diese Methode sagt nicht nur voraus, was geschehen könnte (Prädiktive Analytik), sondern was geschehen sollte. Auf Basis von Statistiken, maschinellem Lernen und Data-Mining identifiziert die präskriptive Analyse einerseits Ergebnisse und zeigt andererseits die besten Optionen auf, um ein Ziel zu erreichen. Durch die präskriptive Analyse lassen sich nicht nur die Auswirkungen künftiger Entscheidungen vorhersagen, sondern auch Dominoeffekte, die solche Entscheidungen auf andere Geschäftsbereiche haben können.
Das Schöne an BI-Lösungen ist, dass sie in allen Abteilungen einer Organisation zum Einsatz kommen können – und dementsprechend mit vielen Vorteilen einhergehen. Business Intelligence versetzt Krankenhäuser nicht nur in die Lage, ihre Kosten zu senken, die betriebliche Effizienz zu erhöhen und das Risiko von Lieferengpässen abzufedern, sondern ist auch ein zentraler Baustein auf dem eingeschlagenen Weg zu einem nachhaltigeren Gesundheitswesen und einer besseren Patientenversorgung.
Vorteile von BI-Lösungen im Krankenhaus |
Kostensenkung und Effizienzsteigerung: Durch die Identifizierung von Ineffizienzen und möglichen Schwachstellen innerhalb der Lieferkette können Krankenhäuser ihre Prozesse verschlanken, Durchlaufzeiten verkürzen und unnötige Kosten einsparen. Damit ist nicht nur eine verbesserte Ressourcenallokation möglich, Kliniken verbessern auch ihre betriebliche Effizienz. Verbessertes Risikomanagement: Business Intelligence kann bei der Identifikation und Abfederung von Risiken in der klinischen Versorgungskette helfen. Durch die Analyse historischer Daten und Modellierung von Szenarien sind Krankenhäuser in der Lage, Notfallpläne zu entwickeln, die Auswahl ihrer Lieferanten zu diversifizieren und so die Widerstandsfähigkeit ihrer Lieferkette zu verbessern. Effizienteres Lieferanten-Management: Wenn Faktoren wie Lieferzeiten, Qualitätsstandards und Preise erhoben und analysiert werden, können Krankenhäuser besonders leistungsfähige Lieferanten ermitteln. Das ermöglicht nicht nur ein verbessertes Lieferanten-Management, Gesundheitsorganisationen sind so auch in die Lage, bessere Verträge auszuhandeln und die Risiken innerhalb der klinischen Versorgungskette zu minimieren. Optimierung von Lagerkapazitäten: Durch eine digitale Transformation ihres Bestandsmanagements generieren Krankenhäuser wertvolle Informationen, die nötig sind, um eine bedarfsgerechte Beschaffung zu etablieren. Historische Daten über Bestände und Verbräuche, die in BI-Tools fließen, können dabei helfen, den Lagerbestand auf ein Maß reduzieren, das den tatsächlichen Anforderungen entspricht. Werden die Bestände sogar so weit heruntergefahren, dass Vorrats- und Lagerräume aufgelöst werden können, lassen sich auch die direkten Kosten für Liegenschaften und das Gebäudemanagement senken. Vermeidung von Abfällen: Im Sinne einer nachhaltigeren Zukunft und mit Blick auf die immensen Kosten von medizinischen Produkten und Verbrauchsgütern arbeiten Krankenhäuser mit Hochdruck daran, die Verschwendung von Materialien auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Sofern sie durch BI-Technologien unterstützt werden, bedarfsgerecht zu bestellen, vermeiden Kliniken unnötige Abfälle und tragen dazu bei, dass ihr ökologischer Fußabdruck kleiner wird. Verbesserung der Patientenversorgung: Durch eine Verbindung von Produkt- und Patientendaten sind Krankenhäuser in der Lage, die Behandlungseffektivität und die Folgen von klinischen Entscheidungen zu verbessern. Im Sinne einer wertorientierten Beschaffung (Value Based Procurement) können BI-Lösungen dabei helfen, den Gesamtwert eines medizinischen Produkts zu ermitteln. Dabei kann nicht nur identifiziert werden, wie hoch das Risiko für Lieferprobleme ist, sondern auch, welchen Einfluss eine Behandlung oder ein Produkt auf die tatsächlichen Versorgungskosten hat, inklusive der Patientenergebnisse, die auch über einen längeren Zeitraum dokumentiert werden. |
So verlockend die Vorteile klingen, so schwierig ist es im Gesundheitswesen auch, Prozesse und Tools für die Nutzung von Business Intelligence zu etablieren. Die Gründe liegen nicht nur an der schier unermesslichen Anzahl an Datenpunkten, sondern vor allem an der Herausforderung, die Daten zu harmonisieren. Krankenhäuser stehen dabei vor der Aufgabe, ihre Datenqualität hochzuhalten und die Datensätze in ein Format zu bringen, das ihnen erlaubt, die Informationen systemübergreifend zu nutzen.
Herausforderungen bei der Implementierung von Business Intelligence im Krankenhaus |
Datenintegration und -qualität: Krankenhäuser müssen unzählige Datenmengen aus verschiedenen Quellen verarbeiten, einschließlich der elektronischen Patientenakte (ePA), die als zentrale Anwendung der Telematikinfrastruktur (TI) gilt und häufig als „Königsdisziplin“ der digitalen Gesundheitsversorgung bezeichnet wird. Die Datenintegration und die Aufgabe, die Qualität aller Daten - von Artikel- über Transaktions- bis zu Patientendaten - dauerhaft hochzuhalten, wird vor dem Hintergrund der riesigen Datenmengen zu einer Herkulesaufgabe. Datenschutz und Sicherheit: Daten, die Krankenhäuser verarbeiten müssen, enthalten sensible Patientendaten, die nach strengen Vorschriften geschützt werden müssen. Um die nationalen Datenschutzrichtlinien einzuhalten und gleichzeitig die Daten für BI-Analysen zugänglich zu machen, bedarf es eines Balanceaktes, der die Implementierung robuster Sicherheitsmaßnahmen erfordert. Interoperabilität: Im Gesundheitswesen werden häufig unterschiedliche Technologien und Standards verwendet, sodass nahtlose Datenflüsse zwischen verschiedenen Systemen nur bedingt möglich sind. Ein Mangel an Interoperabilität kann zu fragmentierten Daten führen, sodass die Informationen von BI-Tools nicht verarbeitet werden können. Change Management: Die Einführung von BI-Lösungen im Gesundheitswesen kann intern auf Widerstand stoßen, besonders bei Fachleuten, die an traditionelle Verfahren gewöhnt sind. Eine effektive Nutzung von Business Intelligence im Krankenhaus erfordert daher einen Change-Management-Prozess, der von externen Experten begleitet werden sollte. |
Beim gängigsten Ansatz erstellen Krankenhäuser Data Warehouses (DW) oder Data Lakes, die große Datenmengen aus vielen verschiedenen Quellen miteinander verbinden und harmonisieren. Dabei fließen Daten aus allen operativen Systemen (bspw. dem ERP oder dem Finanzsystem), internen Datenbanken und externen Quellen durch Data Pipelines zusammen. Der große Vorteil: Das Data Warehouse oder Data Lake bildet nicht nur strukturierte Daten wie etwa Produkt- oder Transaktionsdaten ab. Es kann auch unstrukturierte Daten (Dokumente, Bilder, E-Mails etc.) sowie Rohdaten von Maschinensensoren speichern, abrufen und analysieren. Durch die Zusammenführung beider Datentypen werden Silos aufgebrochen, sodass Krankenhäuser alle Informationen erhalten und analysieren können, um wertvolle Erkenntnisse abzuleiten und die richtigen Entscheidungen treffen zu können.
Krankenhäusern muss klar sein, dass Daten und Tools allein nicht ausreichen, um Business Intelligence gewinnbringend einzusetzen. Gefragt sind Expertise und Erfahrungen, die im Laufe der Zeit gesammelt, geteilt und so eingesetzt werden müssen, um Prozesse und Strukturen zu schaffen, die alle Beteiligten in die Lage versetzen, die bestmöglichen Entscheidungen zu treffen – vom Einkäufer über den Logistiker und den Finanzbuchhalter bis hin zum behandelnden Arzt.
Hier sind abschließend 6 Best-Practice-Tipps, die Krankenhäusern helfen, den richtigen Weg auf ihrer BI-Reise einzuschlagen:
1. Identifikation aller relevanten Datenquellen
Daten, die für eine Bewertung der Beschaffung im Krankenhaus sind, können aus einem breiten Spektrum von IT-Systemen stammen. Ob Enterprise-Resource-Planning (ERP) Systeme, Krankenhausinformations-Systeme (KIS), eigenständige Lösungen für das Bestandsmanagement oder Systeme für die klinische Dokumentation wie die elektronische Patientenakte – Gesundheitsorganisationen müssen wissen, welche Datenquellen sie anzapfen müssen, um BI-Tools mit den relevanten Daten zu speisen und die bestmöglichen Erkenntnisse zu gewinnen.
2. Aufbau eines Data Warehouses und stabiler Data Pipelines
Vollständige, genaue und aktuelle Daten sind das Herzstück von Business Intelligence-Programmen. Krankenhäuser, die versuchen, unterschiedliche Quellen manuell zusammenzuführen, laufen Gefahr, unvollständige, ungenaue und fehlerhafte Daten zu erhalten, die die Aussagekraft ihrer Analysen und damit die Wirksamkeit ihrer Maßnahmen beeinträchtigen. Es ist daher wichtig, dass die Daten aus den identifizierten Quellen (Schritt 1) zusammengeführt und harmonisiert werden.
3. Wahrung der Datenintegrität
Die Daten der klinischen Versorgungskette sind nicht statisch, sondern ändern sich täglich. Bestes Beispiel sind Produktstammdaten oder Preisinformationen, die von Lieferanten und Vertragspartnern regelmäßig aktualisiert werden. Um die Datenintegrität aufrechtzuerhalten, sollten Krankenhäuser auf cloudbasierte Lösungen für die Stammdatenpflege setzen, die sicherstellen, dass die bereitgestellten Produkt- und Preisinformationen kontinuierlich überprüft und validiert werden.
4. Festlegung von Key Performance Indikatoren (KPIs)
Im Rahmen der Analyse der klinischen Versorgungskette sollten Ziele identifiziert werden, in denen Verbesserungen einen spürbaren Einfluss auf die Leistungsfähigkeit der Prozesse haben. Dabei helfen sogenannten Key Performance Indikatoren (KPIs), die Standards für die Bewertung der Lieferketten definieren (bspw. die perfekte Auftragsrate (POR), die termingerechte Lieferung (OTD), die Rückstandsquote oder die Lagerauslastung).
5. Hinzunahme von Benchmarking-Kennzahlen
Besonders Krankenhäuser, die BI-Technologien erstmals nutzen, müssen verstehen, wie sie die Ergebnisse ihrer Analyse bewerten können. Es empfiehlt sich daher, auf Dienstleister und Berater zu setzen, die über eine ausgewiesene Expertise im Gesundheitswesen verfügen und die Leistungsfähigkeit von Lieferketten auf der Grundlage von Benchmarking-Kennzahlen einordnen können.
6. Erfassung und Kontrolle der Leistungsfähigkeit
Das Ziel von Business Intelligence besteht letztlich darin, Ergebnisse durch gezielte Maßnahmen zu verbessern. Es ist daher wichtig, Mechanismen zu etablieren, die sicherstellen, dass die Kennzahlen über die Leistungsfähigkeit laufend erfasst und kontrolliert werden. Besonders effizient sind BI-Tools, die Vorher-Nachher-Vergleiche ermöglichen und Krankenhäuser proaktiv darauf hinweisen (Präskriptive Analytik), welche Schritte unternommen werden müssen, um im jeweiligen Bereich noch bessere Ergebnisse zu erzielen.
Kieran Kelly, Senior Product Manager bei GHX Europe, ist ein ausgewiesener Produktmanagement-Experte mit mehr als 15 Jahren Erfahrung in den Bereichen Business Intelligence und Data Analytics. Mit seinem Fachwissen, das er aus seiner langjährigen Vergangenheit in der Entwicklung und Implementierung datengetriebener Software as a Service (SaaS)-Lösungen zieht, konzentriert sich Kieran Kelly auf die Entwicklung und Bereitstellung hochwertiger Technologien, die den Akteuren im Gesundheitswesen helfen, valide Daten in fundierte Entscheidungen zu übersetzen.