Suboptimale Lieferketten, mangelnde Transparenz, fehlerhafte Daten: Die Corona-Pandemie hat dem Gesundheitswesen schonungslos seine Schwächen vor Augen geführt. Gleichzeitig kann die Branche aus den vorherigen Versäumnissen lernen und die richtigen Schlüsse ziehen. Aber welche Erkenntnisse haben wir gewonnen? Und wie stellen sich Lieferanten und Krankenhäuser für künftige Krisen besser auf?
Noch im Frühjahr dieses Jahres sah es so aus, als könnten wir und das Gesundheitswesen langsam aufatmen, nun hat uns die Pandemie wieder fest im Griff. Die Inzidenzwerte steigen wieder, allerdings gibt es zumindest eine gute Nachricht: Die Krankenhäuser sind mittlerweile auf die Folgen des Coronavirus vorbereitet. Das sah vor eineinhalb Jahren noch anders aus. Als die Pandemie im März 2020 in Europa angekommen war, wurde schnell klar, wie brüchig die bestehenden Lieferketten im Gesundheitswesen sind. FFP-Masken und Mund-Nasen-Bedeckungen waren Mangelware, altbewährte Lieferanten konnten die Nachfrage nicht mehr decken. Gesundheitsorganisationen ohne ein intaktes Netzwerk bekamen die Krise besonders hart zu spüren.
Diese Versorgungsengpässe sind einerseits dem Single-Sourcing-Ansatz von vielen Krankenhäusern geschuldet, die nur auf einen Hersteller setzen, andererseits können Just-in-Time-Lagerhaltungen der Grund für eine suboptimale Lieferkette sein. Die bedarfsgerechte Lagerung ist zwar günstiger als große Menge auf Vorrat zu bestellen, Krankenhäuser sind so aber von vorgelagerten Lieferungen abhängig. Wird der Produkt- oder Anbieterwechsel durch starre Verträge mit Strafklauseln zusätzlich erschwert, sind die Folgen von Versorgungsengpässen noch gravierender.
Die strategische Planung, zu der die Auswahl der Lieferanten und das Vertragsmanagement gehören, ist die zentrale Voraussetzung, um auf künftige Krise besser vorbereitet sein. Doch diese Planung sollte nicht das Ergebnis eines Bauchgefühls sein, sondern immer auf validen Daten basieren – Daten, die selten verfügbar sind oder leider noch ungenutzt bleiben. Bestes Beispiel: Viele Krankenhäuser in Deutschland verfügten in der Hochphase der Pandemie über ausreichend Atemschutzmasken, wussten aber schlichtweg nicht, auf welcher Station diese Masken gebraucht werden. Eine Transparenz über das Zentrallager verschafft eben noch lange keinen Überblick über die dezentralen Bestände im Krankenhaus.
Schlüssel zum Erfolg sind digitale Lösungen, die auf Basis einer validen Datenbasis eine optimale Umverteilung zwischen den Stationen oder verschiedenen Krankenhäusern möglich machen. Mit den richtigen Lösungen verschaffen sich Krankenhäuser nicht nur Transparenz über den eigenen Bestand, sondern auch über Anbieter am Markt. Über Klassifikationssysteme lassen sich so alternative Lieferanten finden, um Versorgungslücken umgehend zu schließen. Corona hat die Teilnehmer der vor- und nachgelagerten Lieferkette praktisch dazu gezwungen, ihren Datenbedarf neu zu bewerten. Das Gute daran: Echtzeitbestandsverwaltung und die Erfassung am Einsatzort helfen nicht nur in Pandemiezeiten, sie liefern auch ein tiefergehendes Verständnis über die tatsächlichen Kosten von Pflegeleistungen.
Die wertorientierte Beschaffung, die sich nur auf den Produktpreis konzentriert, sondern den Gesamtwert einer Lösung im Blick hat, ist durch Corona mehr denn je in den Fokus gerückt. Der Beschaffungsprozess ist der zentrale Hebel für eine verbesserte Versorgungsqualität und finanzielle Nachhaltigkeit für Gesundheitsorganisationen, die in ihrer Beziehung mit Herstellern und Lieferanten vor vier Herausforderungen stehen:
Diese Herausforderungen erfordern nicht nur eine Neugestaltung der Supply Chain, sondern einen Paradigmenwechsel in der gesamten Branche. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens muss über den bloßen Datenaustausch hinausgehen. EDI-Verbindungen, um Transaktionen zu verarbeiten und Prozesskosten einzusparen, decken schon lange nicht mehr die Komplexität von Bestellungen ab. Krankenhäuser haben individuelle Anforderungen, Länder unterschiedliche rechtliche Vorgaben, Produktinformationen ändern sich regelmäßig – Bestellungen erfordern daher immer mehr Details und Daten.
Doch genau hier ist die größte Baustelle, an der es nun zu arbeiten gilt. Laut unseren Schätzungen sind in deutschen Krankenhäusern die Hälfte aller Daten unvollständig oder fehlerhaft. Bevor Kliniken digitale Beschaffungsprozesse anstoßen, müssen sie ihre Daten aufpolieren. Prozessoptimierung funktioniert nur über gutes Datenmanagement. Und genau das hat uns doch die Corona-Krise gelehrt: Eine konsistente Datenqualität ist von entscheidender Bedeutung, um Kliniken besser für kommende Krisen aufzustellen.
Die Krankenhäuser selbst können diese Bereinigung der Stammdaten nicht übernehmen. Um ihnen diese Mammutaufgabe abzunehmen, gibt es spezialisierte Dienstleister, die auf Clearing-, Cleansing- oder Mapping-Services setzen. Falsche Schreibweisen von Artikelnummern und Artikelbeschreibungen, die sich in der Praxis eingeschlichen haben, werden korrigiert, fehlende Informationen ergänzt, Stammdaten mit weiteren Informationen wie beispielsweise Barcodes angereichert.
Sind die Stammdaten korrigiert, kann der elektronische Beschaffungsprozess angestoßen werden. Und auch hier zahlen sich die richtigen digitalen Lösungen aus: Eine integrierte automatisierte Datenprüfung während des Bestellvorgangs gewährleistet auch langfristig saubere Daten und reibungslose Prozesse. Enthält die Beschaffungslösung bereits eine qualitativ hochwertige, validierte Datenbasis durch die bereits integrierten Original-Kataloge der wichtigsten Lieferanten, sind die Daten immer auf aktuellen Stand.
Suboptimale Lieferketten, mangelnde Transparenz über Produktbestände und fehlerhafte Daten – die Corona-Pandemie hat die drei großen Schwachstellen im Gesundheitssystem schonungslos aufgedeckt. Mit manuellen Prozessen lassen sich diese Probleme schon lange nicht mehr lösen. Um die Herausforderungen anzugehen, kommen Hersteller, Lieferanten und Krankenhäuser an einer Transformation ihrer Prozesse nicht mehr vorbei.
Eine digitale Beschaffung stärkt einerseits die Beziehung zwischen Lieferanten und Krankenhäusern, anderseits trägt sie auch zu einer besseren Patientenversorgung bei. Denn elektronische Bestellungen schaffen nicht nur die nötige Transparenz und sorgen dafür, dass nicht zu viel und auch nicht zu wenig angefordert wird. Sie gewährleisten auch, dass die Artikel zur richtigen Zeit dort sind, wo sie auch gebraucht werden.
Dr. rer. med. Christoph Luz, Geschäftsführer der GHX Europe GmbH, ist ein ausgewiesener Experte für Supply-Chain-Lösungen im Gesundheitswesen. Mit seinem umfangreichen Fachwissen, das er aus seiner mehr als 30-jährigen Vergangenheit im IT-Bereich sowie im strategischen Management zieht, gilt er in Deutschland, der Schweiz und Österreich als eine der Schlüsselfiguren der Branche.
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