Mit dem Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) hat ein Schlagwort den Weg ins Gesundheitswesen geschafft, das derzeit in aller Munde ist: Interoperabilität. Kliniken sind dazu angehalten, einen effizienten Informationsaustausch zu ermöglichen und damit die Arbeit des Personals zu vereinfachen. Das Ziel ist ein nahtloser Datenfluss, der nicht nur Kosten senkt und innerhalb der Organisation mehr Transparenz schafft, sondern auch die Patientenversorgung verbessert. Aber wo und wie fangen Krankenhäuser eigentlich an?
Ich verrate Ihnen kein Geheimnis, wenn ich behaupte, dass ein effizienter, digitaler und strukturierter Datenaustausch im Gesundheitswesen das Leben aller Akteure einfacher macht. Genauso offensichtlich ist aber auch die Tatsache, dass wir vom Traum eines nahtlosen Datenflusses weit entfernt sind. Besonders die Corona-Pandemie hat der Branche leidvoll vor Augen geführt, wie wenig Einsicht wir in Gesundheitsdaten haben. Dabei fehlt es nicht an Daten und dem Willen diese zu nutzen, es sind vielmehr die Strukturen und Standards, diese Daten nahtlos und sicher miteinander auszutauschen.
Und damit wären wir bei der Interoperabilität, die sich auch im Oktober 2020 erlassenen Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) wiederfindet. Bund und Länder haben 4,3 Milliarden Euro bereitgestellt, um die digitale Transformation des Gesundheitswesens voranzutreiben. Das erklärte Ziel, Informationen, die für die Behandlung der Patienten entscheidend sind, künftig leichter, schneller und sicher auszutauschen, und die damit verbundenen Fördertatbestände sind allerdings an bestimmte Voraussetzungen geknüpft.
Eine davon ist die Etablierung interoperabler Prozesse, die die Grundlage für zahlreiche Bereiche im Krankenhaus bilden, die sich im KHZG wiederfinden – vom Patientenportal (Fördertatbestand 2) über die digitale Pflege- und Behandlungsdokumentation (Fördertatbestand 3) bis hin zur Einrichtung von teil- oder vollautomatisierten klinischen Entscheidungsunterstützungssystemen (Fördertatbestand 4).
Doch damit nicht genug, auch das digitale Medikationsmanagement (Fördertatbestand 5), die digitale Leistungsanforderung (Fördertatbestand 6) sowie die Beschaffung, Errichtung, Erweiterung oder Entwicklung informationstechnischer, kommunikationstechnischer und robotikbasierter Anlagen, Systemen oder Verfahren oder räumlichen Maßnahmen zur Umsetzung telemedizinischer Netzwerke (Fördertatbestand 9) erfordern die Einführung von interoperablen Prozessen, die vor allem auf eines abzielen: die Verbesserung des digitalen Reifegrades der deutschen Krankenhäuser.
Bevor ich darauf eingehe, wie Gesundheitsorganisationen einen interoperablen Datenaustausch erreichen können, möchte ich erst einmal die Frage beantworten, was Interoperabilität überhaupt bedeutet. Laut der Europäischen Medizinprodukteverordnung bezeichnet Interoperabilität die „Fähigkeit von zwei oder mehr Produkten – einschließlich Software – desselben Herstellers oder verschiedener Hersteller, Informationen auszutauschen und die ausgetauschten Informationen für die korrekte Ausführung einer konkreten Funktion ohne Änderung des Inhalts der Daten zu nutzen“.
Was logisch klingt, ist im Gesundheitswesen höchst komplex. Der Grund: Krankenhäuser arbeiten mit einer Vielzahl voneinander unabhängigen Systemen, die von unterschiedlichen Herstellern mit eigenen Datenstrukturen bereitgestellt werden. ERP-System, Krankenhausinformationssystem (KIS), Software für die Finanzbuchhaltung oder die Kommunikation auf den Stationen, Scanner-Lösungen für Bestellungen oder die Bestandsverwaltung – die Krankenhaus-IT ist in den meisten Häusern mehr eine Insellandschaft als ein homogenes System.
Aber: Homogenität und eine Harmonisierung der Systeme können letztendlich nur über Standards erreicht werden. Um sich dem Thema Interoperabilität zu nähern und Handlungsempfehlungen abzuleiten, sollten sich Kliniken deshalb zunächst einmal vor Augen führen, welche Ebenen und Standards davon betroffen sind. Und dann wird es ganz schnell kompliziert. Eine gute Übersicht über die jeweiligen Standards in der technisch-strukturellen, syntaktischen und semantischen Ebene liefert eine Deloitte-Studie, in der auch konkret auf die medizinischen Inhalte und Anforderungen eingegangen wird.
Ebenen der Interoperabilität (Quelle: „Mit Interoperabilität in die Zukunft“, Deloitte, November 2021) |
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Ebene |
Ziel |
Technische / Strukturelle Ebene |
Entwicklung einer IT-Infrastruktur, die zur strukturierten Speicherung von Daten sowie zum Austausch von Informationen benötigt wird |
Syntaktische Ebene |
Entwicklung von Schnittstellen, Datenstrukturen und Vorgaben zur Strukturierung von Nachrichten zur Übertragung von Daten |
Semantische Ebene |
Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses von Daten, um sicherzustellen, dass Sender und Empfänger die Daten auch identisch interpretieren |
Die technisch-strukturelle Ebene bildet die Grundlage für alle interoperablen Prozesse, trotzdem müssen auch die Standards der beiden anderen Ebenen an die Geschäftsprozesse angepasst werden. Bedeutet: Eine Software muss die Daten oder Informationen nicht nur technisch verarbeiten können (strukturelle Ebene), sondern auch ihre Bedeutung erkennen (semantische Ebene). Die Automatisierung kommt allerdings nur dann zustande, wenn die Datenstrukturen identisch sind (syntaktische Ebene).
Es ist daher absolut notwendig, dass festgelegte Standards über alle Abteilungen und Systeme hinweg eingehalten und nur dann angepasst werden, wenn sich alle im Ökosystem agierenden Akteure darauf verständigt haben. Die gute Nachricht: Es gibt etablierte Organisationen, die sich um die Definition und die Einhaltung der technischen, syntaktischen und semantischen Standards kümmern. Gesundheitsorganisationen bleibt „nur“ die Aufgabe, die Prozesse zu schaffen, um die IT-Landschaften miteinander zu verbinden – allerdings erst, wenn Interoperabilität als ganzheitliche, organisatorische Veränderung begriffen wird und Kliniken ihre IT-Strategie entsprechend ausrichten.
Interoperabilität ist grundsätzlich ein technisches Thema, das die IT-Abteilungen von Kliniken beschäftigen wird, allerdings geht mit dem Begriff ein Paradigmenwechsel in der Kultur einer Gesundheitsorganisation einher. Den Verantwortlichen muss klar sein, dass der nahtlose Datenfluss und die abteilungsübergreifende Nutzung von Informationen die Bedingung für eine digitale Transformation sind. Interoperabilität erfordert daher eine radikale Neuausrichtung in nahezu allen Fachbereichen, sodass Prinzipien, Prioritäten und Routinen vieler Mitarbeiter neu definiert werden müssen.
Bleibt die Frage: Wo und wie fangen Krankenhäuser an, das Konzept der Interoperabilität nicht nur auf den Plan zu bringen, sondern auch erfolgreich umzusetzen?
Es ist kaum überraschend, dass es hier keine einfache und vor allem keine eindeutige Antwort geben kann; zu individuell sind die unterschiedlichen Gesundheitsorganisationen und ihre bestehenden Systemlandschaften und Vernetzungen mit Lieferanten und externen Dienstleistern. Meine Empfehlung ist deshalb ein mehrstufiger Projektplan, der Ihnen einen Überblick über den Status Quo sowie einen Aktionsplan geben sollte, um interoperable Prozesse in Ihrer Organisation einzuführen.
Aufgabe |
Fragestellungen |
Ziel |
Strategische Neuausrichtung der Organisation |
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Entwicklung einer „Task Force Interoperabilität“ |
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Aufgabe |
Fragestellungen |
Ziel |
Analyse des Datenflusses (Data Flow Charts) |
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Analyse der Datennutzung |
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Analyse der Vertragsstrukturen |
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Aufgabe |
Fragestellungen |
Ziel |
Zusammenführung von Datensilos auf eine zentrale Datenplattform |
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Neuausrichtung der IT-Landschaft auf Interoperabilität |
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Erstellung einer Grundlage für die Einhaltung der IT-Sicherheit innerhalb der Organisation und in der Zusammenarbeit mit externen Partnern |
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Aufgabe |
Fragestellungen |
Ziel |
Bestimmung von Optimierungs-potenzialen |
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Priorisierung von Use Cases |
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Ressourcenplanung (intern und extern) |
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Der Aufwand für die Einführung von interoperablen Prozessen mag zunächst immens erscheinen, die Anstrengungen zahlen sich langfristig aber aus. Denn die Vorteile, die mit einem nahtlosen Datenfluss und der Nutzung innerhalb der Organisation und der Branche einhergehen, sind immens.
Letztendlich werden durch interoperable, datengetriebene Lösungen nicht nur die Prozesse innerhalb der Organisation geschärft, sondern langfristig auch die Patientenversorgung auf ein neues Level gehoben. Durch die Vernetzung der Systemlandschaften innerhalb und außerhalb der Organisation wird einerseits die Kommunikation zwischen den Fachabteilungen für eine adäquate Behandlung verbessert, andererseits können Patienten unbürokratisch beraten und gezielt behandelt werden.
Damit die Patienten bestmöglich versorgt und behandelt werden können, ist es natürlich auch unerlässlich, dass die richtigen medizinischen Produkte rechtzeitig dort ankommen, wo sie gebraucht werden. Grundlage hierfür sind effiziente Supply-Chain-Prozesse, die in interoperablen IT-Landschaften automatisiert im Hintergrund ablaufen – sofern Gesundheitsorganisationen als auch Lieferanten für den Transfer von strukturierten Geschäftsdokumenten, Benachrichtigungen und Statusinformationen auf digitale Lösungen und auf der technisch-strukturellen Ebene auf gängige Standards setzen.
Eine Fax- oder E-Mail-Bestellung enthält ebenso wenig strukturierte Daten wie eine Rechnung in einem PDF-Format. Einzelne Fachabteilungen können mit diesen Informationen vielleicht arbeiten, der Transfer und die Nutzung der Informationen in anderen Systemen ist aber nicht ohne manuellen Mehraufwand möglich. Um eine automatisierte und damit schnelle Verarbeitung von Bestellungen, Bestellbestätigungen, Lieferscheinen und Rechnungen zu erreichen, müssen diese in strukturierten elektronischen Datenformaten zwischen Krankenhäusern und Lieferanten ausgetauscht werden können. Der Vorteil: Durch die Nutzung von Echtzeit-Daten können Gesundheitsorganisationen jederzeit den Stand ihrer Bestellungen einsehen – ein Aspekt, der vor allem in Zeiten gestörter Lieferketten ungemein wichtig ist.
Obwohl der Return on Digital Invest nicht in kurzer Zeit realisiert werden kann, sollten Krankenhäuser früh genug anfangen, den digitalen Wandel und das Thema Interoperabilität zur Chefsache zu machen. Mit Blick auf die oben genannten Vorteile wäre es fahrlässig, die Chance zu verpassen und nicht zeitnah auf den interoperablen IT-Zug aufzuspringen.
Der Beschaffungsprozess im Gesundheitswesen und der damit verbundene Austausch von Geschäftsdokumenten zwischen Krankenhäusern und Lieferanten ist dabei ein zentraler Baustein, den Gesundheitsorganisationen auf der Agenda haben sollten. Nicht nur, weil es der Gesetzgeber so will und auch fördert, sondern weil Kliniken so ihre Prozesse optimieren, Kosten senken, Mitarbeiter entlasten und ganz nebenbei wieder die Menschen in den Fokus rücken, denen die meiste Beachtung geschenkt werden sollte: den Patienten.
Joanna Chelimala, Senior Product Manager e-Invoicing bei GHX Europe, ist eine ausgewiesene Expertin für das Thema Interoperabilität und die rechtskonforme E-Rechnung. Mit ihrem umfassenden Wissensschatz und ihrem fundierten Verständnis der Anforderungen im Gesundheitswesen verfolgt sie das Ziel, erstklassige Produkte und funktionale Erweiterungen zu entwickeln, die den Akteuren im Gesundheitswesen helfen, ihre Ziele zu erreichen.
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