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Lieferengpässe im Gesundheitswesen: Wie digitale Lösungen zu einer besseren Versorgung führen können

Montag, 4. September 2023

Lieferengpässe im Gesundheitswesen: Wie digitale Lösungen zu einer besseren Versorgung führen können.

Die Lieferengpässe von Arzneimitteln und Medizinprodukten zeigen, dass die globalen Lieferketten in Schieflage geraten sind. Um die Versorgungssicherheit nicht zu gefährden, ist nicht nur die Politik gefragt, sondern auch die Krankenhäuser selbst. Welche Rahmenbedingungen können sie etablieren, um das Risiko künftiger Lieferengpässe zu minimieren? Welche Rolle spielen Daten? Und wie profitieren Gesundheitsorganisationen dabei von der digitalen Transformation?

 

 


 

Von Krebsmedikamenten über Antibiotika bis hin zu Fiebersäften für Kinder – die Liste der von Lieferengpässen betroffenen Produkten wird länger. Laut dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sind es derzeit mehr als 500 Arzneimittel, deren Beschaffung sich für Apotheken und Krankenhäuser schwierig gestaltet. Bei Medizinprodukten sieht es nicht anders aus, allerdings gibt es hier noch keine Meldestelle und damit offizielle Zahlen über die Lieferengpässe, die das Gesundheitswesen erneut auf die Probe stellen.

Gänzlich neu ist das Thema und die Frage, ob die Gesundheitsversorgung gefährdet ist, natürlich nicht. Spätestens in der Hochphase der Corona-Pandemie bekam das Gesundheitssystem hierzulande zu spüren, dass die globalen Lieferketten nicht mehr auf festen Grundsäulen stehen. Besonders die Beschaffung von PSA wurde zur Herausforderung, die viele Gesundheitsorganisationen ohne ein intaktes Netzwerk auf die Füße viel und ihre Strategien in der Wahl der Lieferanten überdenken ließ.

 


 

Das Bewusstsein der Verantwortlichen hat sich seitdem sicherlich verändert, allerdings leiden deutsche Krankenhäuser auch weiterhin unter einem enormen Kostendruck. Die vormals auf Wirtschaftlichkeit optimierten Lieferketten von heute auf morgen auf Sicherheit umzustellen, ist daher einfacher gesagt als getan. Es geht darum, ausgewogene Lieferketten zu etablieren, die im komplexen Spannungsfeld zwischen Kostendruck und Versorgungssicherheit ausbalanciert werden müssen.

Dass dies ungemein schwierig geworden ist, liegt an der Marktverengung, die sich in den letzten Jahren zugespitzt habt. Während der Produktionsstandort Europa sukzessive heruntergefahren wurde, übernahmen wenige Hersteller in Niedriglohnländern die Produktion, oftmals spezialisiert auf einen Wirkstoff. Was zunächst lukrativer, weil billiger erschien, führte zwangsweise zu einer großen Abhängigkeit, von der sich Krankenhäuser nun wieder lösen wollen.

 


 

Die deutsche Politik hat auf diese Abhängigkeit von internationalen Herstellern und Zulieferern sowie auf die dramatischen Folgen für die Gesundheitsversorgung reagiert und mit dem Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) ein erstes Instrument geschaffen, um das Risiko von Lieferengpässen abzufedern. Einerseits soll das Gesetz die Produktion von Antibiotika in Europa fördern, andererseits zeigen die Abschaffung von Festbeträgen und Rabattverträgen, dass auch neue vertragliche Rahmenbedingungen ausgehandelt werden müssen – und damit liegt der Ball auch bei den Krankenhäusern und Apotheken.

Für Gesundheitsorganisationen ist es wichtiger denn je, flexible Rahmenbedingungen zu schaffen, sowohl mit Blick auf die Anzahl der Lieferanten als auch auf die Verträge. Während vor allem Kliniken lange Zeit Single-Sourcing-Strategien gefahren sind und dabei die Verhandlung von Preis und Mengenrabatte im Fokus stand, müssen sie nun im Sinne einer bedarfsgesteuerten Beschaffung von Mindestabsatzmengen in den Verträgen abrücken und alternative Produkte und Lieferanten im Blick haben.

 


 

Genauso wichtig ist es, mehr Transparenz in die Lieferkette zu bekommen. Der Ort und die Anzahl der Produktionsstandorte sind für eine nachhaltige Risikoanalyse ebenso elementar wie die Identifikation von kritischen Produktsegmenten und alternativen Beschaffungsquellen. Dabei können sich Kliniken an eine einfache Grundregel halten: Je größer das Netzwerk aus Lieferanten, desto zielgerichteter ist auch die Reaktion auf Nachfrageänderungen.

Gesundheitsorganisationen müssen diese Kriterien für die Identifizierung von Risiken innerhalb der bestehenden Lieferkette und Minimierung des vorgelagerten Lieferkettenrisikos in entsprechende Scoring-Modelle aufnehmen, gleichzeitig aber auch bessere Einblicke in die nachgelagerte Lieferkette erhalten. Die Entwicklung von einer preis- auf eine wertorientierte Beschaffung, die eben auch den Risikoaspekt innerhalb der Lieferkette abdeckt, bedeutet, dass Krankenhäuser die wahren Kosten für die Bereitstellung von Versorgungsleistungen verstehen müssen.

 


 

Damit rückt etwas in den Fokus, das im Gesundheitswesen zwar im Übermaß vorhanden ist, allerdings noch zu wenig genutzt wird: Daten. Wenn Kliniken die Kosten für Verbrauchsmaterialien und die damit verbundenen Patientenergebnisse erheben, lassen sich diese Daten analysieren, interpretieren und die gewonnenen Erkenntnisse in die richtigen Entscheidungen für die Etablierung optimierter Prozesse und besserer Rahmenbedingungen umwandeln.

Die gewünschte Transparenz wird dabei umso größer, je mehr Stakeholder und Fachabteilungen die Daten nutzen. Interoperable Prozesse, die mit einem nahtlosen Datenfluss einhergehen, ermöglichen einen effizienten Informationsaustausch, der nicht nur bessere Einblicke ermöglicht, sondern bei den richtigen Rückschlüssen auch die Kosten senkt. Krankenhäuser gehen so gleich zwei zentrale Herausforderungen der Branche an: Einerseits stellen sie sich krisensicherer auf, andererseits wirken sie dem Kostendruck entgegen.

 


 

Das Gesundheitswesen muss sich dabei andere Branchen zum Vorbild nehmen und die Vorteile der digitalen Transformation nutzen. Indem manuelle Prozesse durch digitale Lösungen ersetzt werden, lassen sich Daten gewinnen, die – richtig aufbereitet und eingesetzt – in der gesamten Organisation genutzt werden können, um die Transparenz zu erhöhen, das Personal zu entlasten und auch im Fall von Lieferengpässen die Patientenversorgung sicherzustellen.

Besonders effizient sind digitale Business-Netzwerke, über die sich die Akteure zusammenschließen, um ihre Transaktionen abzuwickeln. Im Idealfall können Gesundheitsorganisationen bei der Suche und der Bestellung auf die Artikel aller relevanten Lieferanten zugreifen, fahren so also ganz automatisch eine Multi-Sourcing-Strategie. Und wenn die Transaktionsdokumente – von der Bestellung über die Auftragsbestätigung und den Lieferschein bis hin zur Rechnung – auch noch digital abgebildet werden, gewinnen sie nicht nur bessere Einblicke, sondern auch mehr Kontrolle über die Beschaffungskette.

 


 

Transparenz und Kontrolle – diese beiden Bausteine bilden auch im Bereich der Bedarfsanforderung und im Bestandsmanagement die Grundlage für widerstandsfähige Prozesse. Weil der Einblick in aktuelle und umfassende Artikel- und Preisinformationen sowie deren Verfügbarkeit besonders in Zeiten von Lieferengpässen unabdingbar ist, sind Krankenhäuser und Apotheken gut beraten, auch hier auf digitale Lösungen zu setzen.

 

 

Indem manuelle durch automatisierte Abläufe ersetzt werden, gewinnen sie sowohl Zeit als auch einen besseren Überblick über den Status ihrer Anforderungen und ihre Bestände. Mithilfe der gewonnenen Daten und Erkenntnisse können effizientere Prozesse und vertragliche Rahmenbedingungen etabliert werden, um die Beschaffung auf feste Grundsäulen zu stellen. Gesundheitsorganisationen sind so weniger anfällig für Lieferengpässe und tragen maßgeblich dazu bei, die Patientenversorgung zu verbessern.

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Dr. Christoph Luz

Geschäftsführer

Dr. rer. med. Christoph Luz, Geschäftsführer der GHX Europe GmbH, ist ein ausgewiesener Experte für Supply-Chain-Lösungen im Gesundheitswesen. Mit seinem umfangreichen Fachwissen, das er aus seiner mehr als 30-jährigen Vergangenheit im IT-Bereich sowie im strategischen Management zieht, gilt er in Deutschland, der Schweiz und Österreich als eine der Schlüsselfiguren der Branche.